Donald A. Norman

Dinge des Alltags

Gutes Design und Psychologie für Gebrauchsgegenstände

Frankfurt 1988

Zusammenfassung


Design-Prinzipien zur Verständlichkeit und Verwendbarkeit:

 

Wissen im Kopf und verfügbares Wissen

Nicht alles für präzises Verhalten erforderliche Wissen braucht im Kopf vorhanden zu sein. Es kann sich aufteilen: Wissen im Kopf - Wissen in der Umwelt - Wissen, das durch Einschränkungen der Umwelt-Interpretation bestimmt oder suggeriert wird.
Es ist bezeichnend, daß präzises Handeln der Menschen trotz unpräzisem Wissen möglich (und hauptsächlich auch der Fall) ist. Die erforderlichen Informationen sind in der Umwelt vorhanden und fungieren als eine Art Erinnerungsmarken in Situationen, in denen die entsprechende Information handlungsrelevant ist.

Gedächtnis ist Wissen im Kopf. Die Struktur des Gedächtnisses weist drei Aspekte auf:

Verfügbares Wissen aus der Umwelt und im Kopf gespeichertes Wissen sind beide entscheidend für das tägliche Funktionieren. Zwischen beiden Arten von Wissen besteht ein Austauschprozeß (Trade-off), wobei die Nutzung der Vorteile des verfügbaren Wissens zum Verlust der Vorteile des Wissens im Kopf führt.
Verfügbares Wissen ist seine eigene Erinnerungshilfe. Es ist immer da und wartet darauf, gesehen und benutzt zu werden. Es ändert sich mit der Umwelt. Wissen im Kopf ist vergänglich und nicht zu jedem Zeitpunkt reproduzierbar (Aus den Augen, aus dem Sinn).

 

Sichtbarkeit und Feedback

Sichtbarkeit: wichtige Teile sichtbar machen.
Feedback: Jede Handlung mit einer unmittelbaren und eindeutigen Wirkung versehen (Anzeigen, Geräusche).

 

Fehler

Bei Fehlern lassen sich Fehlleistungen und Irrtümer unterscheiden. Fehlleistungen haben mit Fehlern bei der Ausführung einer Handlung zu tun und gehen aus automatisiertem Verhalten hervor. Irrtümer beziehen sich auf die Zielformulierung und sind oft nur schwer zu entdecken.
Folgende Arten von Fehlleistungen lassen sich unterscheiden:

Die Entdeckung von Fehlleistungen kann nur bei ausreichendem Feedback erfolgen. Bei dem Versuch, Fehlleistungen zu beheben, scheint der Fehlerberichtigungsmechanismus an der niedrigstmöglichen Ebene anzusetzen und sich langsam nach oben zu arbeiten (S. 135; Hypothese Donald Norman). Probleme mit dieser Spezifizierungsebene wirken oft der Berichtigung von Fehlern entgegen.
Irrtümer gehen aus der Wahl falscher Ziele hervor. Viele Irrtümer entstehen "aus den Launen des menschlichen Denkens", weil die Menschen sich oft mehr auf erinnerte Erfahrung verlassen als auf eine systematische Analyse. "Wir treffen Entscheidungen aufgrund dessen, was in unserem Gedächtnis gespeichert ist; das Gedächtnis neigt zur übertriebenen Generalisierung und Regularisierung des Alltäglichen und zur Überbetonung alles Abweichenden" (S. 138).

Denken und Gedächtnis

Wir klammern uns "immer noch an die Vorstellung, daß das menschliche Denken rational, logisch und wohl geordnet sein sollte" (S.138); Denken, Problemlösen und Planen scheinen mehr in den Erfahrungen der Vergangenheit als in der logischen Deduktion verwurzelt. Die geistige Aktivität ist nicht sauber und wohlgeordnet, sie hüpft und springt von Idee zu Idee, bringt Dinge zusammen, die nicht zusammengehören, macht neue kreative Sprünge, findet neue Einsichten und Konzepte.

Denken und Gedächtnis sind eng miteinander verwandt. Die einzelnen Strukturen des Gedächtnisses weisen eine eigene Logik und Ordnung auf (Schema). Das Gedächtnis geht assoziativ vor, wobei jedes Schema auf viele andere Schemata hinweist, die mit ihm verwandt sind oder die helfen, die Komponenten zu definieren (Netzwerk). Ein Großteil der Fähigkeit zu deduktivem Denken erwächst daraus, daß man die Informationen in einem Schema benutzt, um die Eigenschaften eines anderen zu deduzieren (propositionale Enkodierung).

Konnektionismus: Thermodynamik statt Logik! Denken als massive Parallelverarbeitungs-Interaktion von miteinander verbundenen Neuronen. Signale werden verstärkt oder gehemmt, wobei bei jeder Weiterleitung der Gesamtwert der Signale berechnet wird; das weitergeleitete Signal ist eine Funktion dieser Aktivierungs-Summe. Die Signale führen manchmal zu Konflikten, manchmal zu Kooperation und Stabilität. Nach einer Weile beruhigt sich das System der miteinander verbundenen Einheiten und tritt in einen stabilen Zustand ein, der einen Kompromiß zwischen den gegensätzlichen Kräften darstellt.
Gedanken als stabile Aktivitätsmuster. Basiert auf Erlebnissen aus der Vergangenheit, die als Vorbild für die Gegenwart benutzt werden. Da das Denken von dem ausgeht, was aus der Erinnerung abgerufen werden kann, kann das ungewöhnliche Ereignis hervorstechen.

Computer und Design

Besonders mißachtet werden die Prinzipien guten Designs bei Computersystemen.
Da ein Computer auf fast jede Art von Steuerung anspricht, fast jede Art von Bild oder Geräusch erzeugen kann, hat er die Fähigkeit, sowohl die Kluft der Auswertung als auch die Kluft der Ausführung zu überbrücken und das Leben zu vereinfachen. Sofern sie richtig ausgelegt sind, können Computersysteme für jeden einzelnen (und auch von jedem einzelnen) den jeweiligen Bedürfnissen angepaßt werden. Computer haben die Fähigkeit, Aufgaben des Alltags nicht nur leichter zu machen, sondern sie auch angenehmer zu gestalten1).

Es gibt viele leistungsfähige Programmiersprachen, doch um die Erarbeitung von Sprachen der Interaktion haben sich nur wenige bemüht. Kommt nicht in der Informatikausbildung vor 2).
"Es ist keine einfache Sache, wirksame und brauchbare Computersysteme zu entwickeln. ... bedeutet das unter anderem, daß der Computer in der Lage sein muß, Dinge sichtbar (oder hörbar) zu machen, was große und hochwertige visuelle Anzeigen, eine Reihe von Eingabevorrichtungen und sehr viel Speicherkapazität erfordert. Diese erfordern wiederum schnellere und leistungsfähigere Schaltkreise. Und all das bedeutet letzten Endes teurere Systeme... Es ist vielleicht nicht sofort einleuchtend, daß die nicht-professionellen Benutzer von Computersystemen diejenigen sind, die die Systeme mit der größten Leistung, der größten Speicherkapazität, den besten Anzeigen benötigen. Professionelle Programmierer kommen mit weniger aus, denn sie sind in der Lage, mit komplexeren Interaktionen und weniger eindeutigen Anzeigen umzugehen" (S. 212).

Computer unterscheiden sich von anderen Maschinen dadurch, daß ihre Gestalt, Form und Erscheinung nicht festgelegt sind. Ein Computer kann alles sein, was der Designer sich vorstellt. Man kann leicht erkundbare Systeme schaffen, die man ohne Angst vor Scheitern oder Beschädigung ausprobieren kann. Systeme sollen zum Ausprobieren einladen. Drei Voraussetzungen für die Erkundbarkeit eines Computersystems:

  1. In jedem Systemzustand muß der Benutzer die zulässigen Handlungen ohne Schwierigkeiten sehen und ausführen können. Die Sichtbarkeit dient als Aufforderung. Sie erinnert an die verschiedenen Möglichkeiten und ermuntert zur Erforschung neuer Ansätze und Methoden.
  2. Die Auswirkung jeder Handlung muß sowohl sichtbar als auch leicht zu interpretieren sein. Dies ermöglicht es dem Benutzer, die Auswirkungen jeder Handlung zu erlernen, ein gutes gedankliches Modell des Systems zu entwickeln und die Kausalbeziehungen zwischen Handlungen und Ergebnissen zu erlernen
  3. Handlungen sollten keine unwiderruflichen Folgen nach sich ziehen. Bei unerwünschtem Ergebnis muß eine Handlung rückgängig gemacht werden können. Im Falle einer irreversiblen Handlung sollte das System vorher klar anzeigen, welche Auswirkung die erwogene Handlung haben wird; es sollte genug Zeit bleiben, um das Vorhaben zurückzuziehen.

Befehls-Modus und Direkteingriff-Modus. Die meisten Computersysteme bieten nur Interaktionen im Befehlsmodus, mittels spezieller Befehlssprachen, die man erlernen muß. Beid Direkteingriffsmodus dagegen erfolgt eine unmittelbare Steuerung der Handlungen durch den Benutzer selber.
Beide Interaktionsformen sind notwendig. Die Interaktion »in der dritten Person« (Befehlsmodus) eignet sich gut für Situationen, bei denen es sich um eine mühsame oder eintönige Aufgabe handelt oder aber bei denen man darauf vertrauen kann, daß das System die Aufgabe richtig verrichtet ("Manchmal ist es schön, einen Chauffeur zu haben"). Ist jedoch die Aufgabe schwierig, neuartig oder schlecht beschrieben oder noch gar nicht im einzelnen festgelegt, dann ist die direkte Aktion "in der ersten Person" geeigneter. Befehlsmodus als Unterstützung bei Arbeiten im Direkteingriffsmodus (z.B. Zeichnen-Hilfen bei einem Zeichenprogramm für ungeübte Benutzer). Bei Direkteingriffsmodus trit die Aufgabe selbst stärker in den Vordergrund, der Computer wird im Grunde unsichtbar.

Designerfehler

Zeitliche Zwänge aus der Vermarktung eines Produkts auf einem auf Konkurrenz und Wettbewerb eingestellten Markt wirken oft einer natürlichen Evolution des Designs entgegen.

Kecke Ingenieure meinen oft, sie müßten allen machbaren Firlefanz einbauen.
Oft wird die Ästhetik auf Kosten der Benutzbarkeit an oberste Stelle gesetzt.
Designer meinen, dem Produkt unbedingt ihren Stempel der Individualität aufdrücken zu müssen.

Designer sind keine (typischen) Benutzer; die Kunden der Designer sind oft ebenfalls nicht die Benutzer.

Viele Designs verlangen übertriebene Konzentration auf eine Sache. Das führt zu einer Scheuklappensichtweise, die viele wichtige andere Aspekte vernachlässigt. Designer müssen in ihren Entwürfen dem Problem der ausschließlichen Konzentration auf eine Sache vorbeugen. Die schleichende Seuche der Leistungsmerkmale steigert die Funktionalität eines Systems oft bis ins Irrsinnige.

 

Design auf Fehler auslegen

  1. Die Ursachen von Fehlern verstehen und Dinge so gestalten, daß diese Ursachen reduziert werden.
  2. Die Korrektur und Revision von Handlungen ermöglichen, bzw. Handlungen, die nicht rückgängig zu machen sind, erschweren.
  3. Die Entdeckung von Fehlern und deren Behebung erleichtern.
  4. "Fehlermachen" des Benutzers als Handlungssequenz betrachten, die eine "Annäherung" an das Gewünschte darstellt. Fehler sind meistens verständlich und logisch, wenn man deren Ursache durchdenkt.

Ein System sollte grundsätzlich auf Fehler ausgelegt sein, da normales Verhalten der Menschen nicht immer präzise ist. Dinge sollten so gestaltet werden, daß Fehler leicht zu entdecken und Korrekturen möglich sind.

Zwangsfunktionen als physische Einschränkungen können das Fehlermachen erschweren (z.B. Auto, Autoschlüssel einschließen). Interlocks, Lockins und Lockouts als unterschiedliche Zwangsfunktionen.

 

Prinzipien zur Verwandlung von schwierigen Aufgaben in einfache

  1. Nutzen des Wissens im Kopf als auch des Wissens in der Umwelt

    Menschen lernen besser und fühlen sich wohler, wenn das erforderliche Wissen extern verfügbar ist, d.h. entweder in der Umwelt explizit vorhanden oder aufgrund von Einschränkungen mühelos abzuleiten ist. Eine schnellere und effizientere Leistung ist möglich, wenn der Benutzer das Wissen verinnerlicht (Wissen im Kopf). Deshalb darf das Design geübte, erfahrene Benutzer nicht behindern. Es sollte möglich sein, das Wissen im Kopf mit dem universellen Wissen in der Umwelt zu verbinden und sich einfach zwischen beiden Orientierungen hin- und herzubewegen.

     

  2. Vereinfachung der Struktur von Aufgaben

    Aufgaben sollten einfach strukturiert sein und dadurch das erforderlichee Planen und Problemlösen reduzieren. Grenzen des Kurz- und Langzeitgedächtnisses und der Aufmerksamkeit beachten. Strategien: Gedächtnisstützen bieten, mit Hilfe der Technik sichtbar machen, was sonst unsichtbar bliebe und auf diese Weise Feedback und Steuerung verbessern, automatisieren 1) oder Wesen der Aufgabe verändern. Dank der leistungsstarken Graphik moderner Computersysteme können die Wirklichkeit und gedankliche Modelle abgebildet werden; so kann das sichtbar gemacht werden, was sichtbar sein sollte, und das, was irrelevant ist, kann versteckt gehalten werden.In einer idealen Welt sollte zwischen Automatisierung und vollständiger individueller Steuerung gewählt werden können.

     

  3. Dinge sichtbar machen. Kluft der Ausführung und Kluft der Auswertung überbrücken.

    Dinge müssen auf der Ausführungsseite einer Handlung sichtbar gemacht werden, damit die Benutzer die Auswirkungen ihrer Handlungen sehen können. "Das System sollte Handlungen ermöglichen, die mit den Intentionen des Benutzers übereinstimmen. Es sollte Hinweise auf den Zustand, in dem sich das System befindet, geben, die leicht wahrzunehmen und zu interpretieren sind und die den Intentionen und Erwartungen des Benutzers entsprechen... Die Ergebnisse einer Handlung sollten klar ersichtlich sein" (S. 231).

     

  4. Mappings müssen stimmen.

    Natürliche Mappings müssen folgende Beziehungen feststellbar machen:

    • zwischen Intentionen und möglichen Handlungen,
    • zwischen Handlungen und ihren Auswirkungen auf das System,
    • zwischen dem wirklichen und wahrnehmbaren Systemzustand,
    • zwischen wahrgenommenem Systemzustand und den Bedürfnissen, Intentionen und Erwartungen des Benutzers.

    Graphik oder Bilder spielen hierbei eine herausgehobene Rolle.

     

  5. Natürliche und künstliche Einschränkungen nutzen

    Einschränkungen nutzen, damit der Benutzer das Gefühl hat, es sit eine einzige richtige Handlung möglich. Einschränkungen sollen die Zahl der bei jedem Schritt möglichen Alternativen reduzieren.

     

  6. Mögliche Fehler berücksichtigen

    Designer sollten davon ausgehen, daß jeder Fehler, der gemacht werden kann, auch gemacht werden wird. Unterstützung statt Bekämpfung des Benutzers! Der Benutzer soll Fehler nachvollziehen können, wissen können, was gemacht wurde und was daraufhin passierte, unerwünschte Ergebnisse rückgängig machen können. Erforschbare Systeme. Zwangsfunktionen in kritischen Situationen nutzen.

     

  7. Wenn alles andere schiefgeht, sich nach bestehenden Normen richten.

  Karl Schmitz, Januar 1992